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Die Zukunft der Plattformwirtschaft – Eine Geschichte in fünf Teilen

Mit Illustrationen von Karsten Petrat
Zuerst erschienen bei HSO Digital Blog

Teil 1: Die Erfolgsfaktoren der neuen Geschäftsmodelle

Was ist eine Plattform?

Plattformen sind Unternehmen, die Angebot und Nachfrage oder auch Bedürfnisse und Arbeit synchronisieren. Vorreiter dieser Entwicklung sind im westlichen Kulturraum Airbnb, Amazon, Facebook, Netflix, LinkedIn, Tinder, Spotify und Uber. Das Selbstverständnis einer Plattform gleicht dem eines digitalen Katalogs. Verfügbare Leistungen werden online gebündelt, dort zugänglich gemacht und verrechnet. Produziert wird von einer Plattform häufig gar nichts. Sie konzentriert sich darauf, Angebot und Nachfrage zu synchronisieren – sowie durch die Integration von Technologien, Leistungen und Nutzerinnen (und damit Daten beziehungsweise Wissen) zu wachsen. Die Sammlung von Daten dient der Personalisierung sowie der Erziehung künstlicher Intelligenz.

Netflix und Spotify bringen Serien und Musik mit Unterhaltungssuchenden zusammen, booking.com Hotels und Reisende, PopUpOffice flexible Wissensarbeiterinnen und leere Büros, Tinder Sex- und Beziehungssuchende, soziale Netzwerke Informationen mit Nutzerinnen, Amazon Konsumenten und Produzenten. Die Wertschöpfung geht dann über die reine Vermittlung von Angebot und Nachfrage hinaus, wenn die Nutzerinnen miteinander interagieren. Offensichtlich ist dies bei Instagram oder Facebook der Fall. Weniger direkt ist der Kontakt auf AirBnB oder Netflix, wo Nutzerinnen und Nutzer von den Rankings, Feedbacks beziehungsweise der Expertise der Community profitieren. In der Plattformwirtschaft wird Arbeit wenn möglich an Maschinen und an uns Kunden delegiert.

Was sind die Erfolgsfaktoren einer Plattform?

Der Siegeszug der Plattformen gründet auf vier Erfolgsfaktoren, die sich gegenseitig bedingen. Diese eignen sich auch, um die Unterschiede in den Geschäftsmodellen von Unternehmen und Plattformen zu verstehen:

Beherrschen der Kundenschnittstelle: Plattformen kontrollieren die Schnittstellen zu uns Kundinnen und Kunden. Die Erfüllung dieses Kriteriums lässt sich sehr einfach beurteilen: Entweder man ist auf dem Smartphone als App präsent oder nicht. Wer mobil präsent ist, macht sein Angebot an jedem Ort der Welt zugänglich. Ebenso einfach ist die digitale Bezahlung der Leistung.

Integration von neuen Technologien: Plattformen nutzen die neuesten Technologien – sowohl in ihren Prozessen im Hintergrund als auch bei den angebotenen Diensten. Gelingt es einer Plattform nicht rechtzeitig eine neue Technologie zu entwickeln, kauft sie entsprechende Start-ups. Facebook experimentiert gleichermassen mit Drohnen und virtuellen Währungen wie mit Gesichtserkennung und virtuellen Realitäten.

Reduktion von Fixkosten und Anlagevermögen: Plattformen reduzieren ihre Fixkosten und ihr Anlagevermögen. Sie beschäftigen so wenig feste Mitarbeitende wie möglich, ergänzende Leistungen werden bei Freelancern eingekauft. Bei vielen Plattformen erbringen die Nutzerinnen (Instagram) oder Selbständige über einen Vertrag mit der Plattform die eigentliche Dienstleistung (Airbnb, Uber).

Daten als Ressource: Plattformen nutzen Daten, um ständig besser zu werden beziehungsweise die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden zu verstehen. Daten ermöglichen es, Trends vorherzusehen, präventiv zu handeln, aber auch Kommunikation, Angebote und Preise zu personalisieren. Zudem sind Daten die Grundlage für die Entwicklung von Algorithmen und künstlicher Intelligenz.

Warum werden Plattformen immer grösser?

Die Integration von Leistungen und Nutzerinnen beziehungsweise die Akkumulation von Kapital, Humankapital und Marktmacht ist eine Folge des Strebens nach Netzwerkeffekten. Diese stellen sich ein, weil Plattformen Leistungen und Nutzerinnen «sammeln». Eine Videothek mit nur drei Serien ist ebenso nutzlos wie ein soziales Netzwerk mit nur einer Handvoll Nutzern. Der Wert einer Plattform steigt, je mehr angebots- und nachfrageseitig integriert wird. Netzwerkeffekte führen dazu, dass die Grossen die Kleinen verdrängen oder fressen – bis irgendwann nur noch wenige Monopolisten übrig bleiben. Weiter gedacht fällt damit auch das Konzept der Branche. McKinsey sieht am Horizont eine Wirtschaft der 12 Ökosysteme, die im Extremfall alle von wenigen Unternehmen dominiert sein könnten – allenfalls in westlicher und asiatischer Ausprägung.

Unterstützt wird dieser Trend durch den Wunsch der Plattformen (und ihrer GeldgeberInnen) nach Skalierbarkeit. Damit sind Geschäftsmodelle gemeint, bei denen der Ertrag pro verkaufte Einheiten immer grösser wird. Bei 10 Einheiten verdient man zum Beispiel 1 Franken pro Stück, bei 1000 schon 1.50 pro Stück. Eine Videothek im Quartier kann dies anders als Netflix niemals erreichen. Unbeschränkt exponentiell verlaufende Wachstumskurven sind nur möglich, wenn die Leistung menschenunabhängig ist. Die Leistungsfähigkeit der Maschine ist im Vergleich zur menschlichen unbeschränkt. Sie wird anders als ein Mitarbeiter niemals müde und kann Daten viel besser verarbeiten. Das unterstreicht die Bedeutung von neuen Technologien, welche die Skalierbarkeit erhöhen beziehungsweise die Notwendigkeit des Technologie-Outlooks in Management und VR.

Welche neuen Plattformen werden entstehen?

Ein erster Trend für die künftige Plattformwirtschaft ist das Entstehen von Plattformen in neuen Branchen. Noch sind nicht alle Branchen vom neuen Unternehmenstypus dominiert. Es dürfte jedoch nur eine Frage der Zeit sein, bis sich Plattformen überall dort durchsetzen, wo Skalierbarkeit möglich ist. Branchen, die noch nicht von Plattformen geprägt sind, eignen sich für einen Markteintritt von etablierten Megaplattformen. Ein offensichtlicher Ort für den Wandel zur Plattformökonomie ist das Gesundheitswesen – einerseits gibt es hier noch keine Plattformen, anderseits ist es ein milliardenschwerer Markt mit zahlreichen zu synchronisierenden Akteuren, einer Unmenge an Daten sowie ungenutzten Potenzialen der künstlichen Intelligenz entstanden. Es dürfte kaum noch zehn Jahre dauern, bis wir sämtliche gesundheitsrelevanten Daten ähnlich dem E-Banking einsehen können.

Ein neuer Typus von Anbietern dürfte sich auf die Vermittlung medizinischer Leistungen konzentrieren, wobei Prävention und Personalisierung wichtiger werden. Weitere Branchen mit Disruptionspotenzial sind die Mobilität, Versicherungen (situations-, zeitraum- und communityspezifische Absicherung) oder auch die Energieversorgung. Ein zweiter Trend sind Meta-Plattformen. Dabei sind zwei Entwicklungen denkbar. Entweder eine bestehende Plattform wagt sich in neue Bereiche. Amazon wird zur Bank, Apple zum Gesundheitszentrum. Oder aber eine neue Plattform vereint untergeordnete Plattformen. Warum sollte nicht bald ein Streamingdienst für Serien entstehen, wo man auf alle bisherigen Plattformen (von Netflix bis Sky) zugreifen kann? Oder wie lange wird es noch gehen, bis wir alle unsere Bank- und Vorsorgekonten auf einen Blick einsehen und simulieren können, wie sich höhere einbezahlte Beiträge in die 3. Säule auf unsere Rente auswirken?

Weiterführende Fragen für die nächsten Artikel

Dieser Beitrag ist der Auftakt einer fünfteiligen Serie über die Plattformwirtschaft. Teil II thematisiert, in welchen Dimensionen Unternehmen durch die Plattformen herausgefordert sind. Dabei sind Partnerschaften ein wirksames Mittel, um sich gegen die Macht der Plattformen zu wehren (Teil III). Als Kunden müssen wir kritisch beurteilen, welche Vor- und Nachteile durch die Integration der Plattformen entstehen. Wird die Wirtschaft der Zukunft wirklich nur durch Plattformen regiert? Oder eröffnet eine Zukunft der Plattformen nicht auch neue Spielräume für Mini-Unternehmen? Wo gibt es also Wirtschaftszweige, die durch die Logik der Plattformen nicht bedroht sind? (Teil IV). Überhaupt wirft die Entwicklung rund um die «Winner Takes It All»-Effekte die Frage auf, wie gross wir als Bürgerinnen und Bürger diese Plattformen werden lassen sollen – oder wie wir als Gesellschaft auf die Superstar-Ökonomie reagieren können (Teil V).

Teil 2: Gefahr durch sechs digitale Ritter

Sechs digitale Ritter fordern die Wirtschaft heraus. Die einen wollen Geld verdienen, die anderen eine neue Welt erschaffen. Für etablierte Unternehmen bedeutet dies Veränderungsbedarf. Die Ritter bringen digitale Wertschöpfung und Prozesse, neue Intermediäre und arbeitende Kunden. Immer mehr Arbeit wird an Maschinen delegiert.

Ritter als schöpferische Zerstörer

Die Wirtschaft der Plattformen ist eine der disruptiven Veränderungen. Die Motive der dahinterstehenden Unternehmen unterscheiden sich. Während in vielen Fällen das Geld im Vordergrund stehen dürfte, wollen andere eine bessere Welt erschaffen. Zu erwähnen sind etwa die Absicht von Google, das gesamte Weltwissen online zu bringen, der Traum von Zuckerberg, sinnliche Erfahrungen via Social Media miteinander teilen zu können, oder natürlich die Pläne von Tesla-Chef Elon Musk. Das Verkehrssystem soll durch neue Autos und Hyperloops radikal verbessert werden, mit Space X will er den Weltraum kolonialisieren. Offensichtlich provozieren die Disruptoren ökonomische Dynamik. Unternehmen, ganze Branchen und Volkswirtschaften sind aufgefordert, auf das Erscheinen der neuen Unternehmen zu reagieren. Am besten reagiert man, bevor man vergessen, verdrängt oder gefressen wird.

In der Folge konzentriert sich dieser Beitrag auf die Optik von Unternehmen, die durch die Plattformen herausgefordert werden. Sechs «digitale Ritter» helfen, die Notwendigkeit der Veränderung zu beschreiben. Der Begriff schliesst an die biblische Erzählung der Apokalypse an. In dieser künden apokalyptische Reiter das Untergehen der alten Welt an. Gleichzeitig symbolisieren sie eine neue Welt. Ritter erschaffen und zerstören. In der Bibel bedeuten sie Hunger, Furcht und Krankheit. Die Ritter der Wirtschaft sind etwas harmloser. Sie bringen einzig einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Veränderungsbedarf mit sich. Ignoriert das Management diesen, kann dies allerdings tatsächlich den Tod des Unternehmens oder zumindest dessen unfreundliche Übernahme einleiten. Umso wichtiger ist es, die aufziehenden Ritter zu kennen und die Folge ihres Wirkens zu antizipieren.

Die sechs digital disruptiven Ritter

Je mehr Ritter auf ein Unternehmen oder eine Volkswirtschaft zugeritten kommen, desto ausgeprägter ist der Veränderungsbedarf. Alle Ritter teilen das Bestreben, die Welt noch viel stärker in den digitalen Raum zu führen und das gegenwärtige Update des Kapitalismus in Richtung Plattformwirtschaft voranzutreiben. Hintergrund ist der Wunsch nach Skalierung, also nach Geschäftsmodellen, bei denen der Ertrag pro verkaufte Einheit prozentual immer grösser wird. Ein anderes Bestreben der Ritter ist der perfekte Markt. Dieser ist dann vollkommen, wenn sich unendlich viele Teilnehmende auf ihm tummeln und unendlich viele Informationen über Angebot und Nachfrage vorliegen. Angebot und Nachfrage finden passgenau zueinander, wobei sich die Preise in Sekunden anpassen. Märkte zu perfektionieren bedeutet etwas alltäglicher ausgedrückt, die Effizienz zu steigern und die Kosten zu senken.

Was aber bewirken die sechs Ritter im Detail?

Ritter 1 – Digitalisierung der Wertschöpfung: Der erste Ritter digitalisiert etablierte Hilfsmittel, um Bedürfnisse zu befriedigen. Wir kaufen keine DVDs mehr, wir streamen die Filme. Wir leihen online Bücher aus und sparen uns den Gang in die Bibliothek. Wir fotografieren mit unseren Smartphones – weder lassen wir Filme entwickeln noch Fotos vergrössern. Durch digitale Welten digitalisieren sich sogar unsere Erlebnisse. Statt mit Brettspielen und menschlichen Sexpartnern amüsieren wir uns in virtuellen Welten.

Ritter 2 – Digitale Prozesse: Der zweite Ritter reduziert das Papier. Dabei verlagern sich Prozesse in elektronische Formulare. Ein Bankkonto eröffnen wir online statt in der Filiale, Kino- und Zugtickets kaufen wir mit einer App. Den Fragebogen, um einen Wechsel der Krankenkasse zu beantragen, füllen wir auf einer Webseite aus. Dabei gilt je länger je mehr: Mobile First. Auch in und zwischen Unternehmen werden Informationen digital ausgetauscht. Alles, was digitalisiert wird, schafft neue Daten.

Ritter 3 – Neuinterpretation der Intermediäre: Durch den dritten Ritter geraten Zwischenhändler unter Druck. Reisebüros und Buchhandlungen sind bereits Plattformen gewichen, die zwischen Angebot und Nachfrage vermitteln. Zudem entstehen direkte Schnittstellen zwischen Leistungsanbieter und -bezügerin. Bauern verkaufen direkt an ihre Kunden, ebenso Grossmütter, die Socken stricken. An die Stelle der Intermediäre treten mächtige «Supermediäre», welche die Interfaces und den Datenfluss kontrollieren.

Ritter 4 – Arbeitende Kunden: Der vierte Ritter delegiert Arbeit an Kunden. Beim E-Banking oder auch beim Organisieren und Abwickeln von Reisen (Buchung, Passkontrolle, Boarding) arbeiten wir schon lange als arbeitende Kunden mit. Das erhöht unsere zeitliche und räumliche Unabhängigkeit, Unternehmen sparen Kosten. In naher Zukunft arbeiten wir auch als Bürgerinnen und Patienten. Kunden sind in Crowds organisiert, als Vermögensverwalterinnen, Ideengeberinnen und Vermarkter.

Ritter 5 – Online-Vertrieb und Kundenbetreuung: Durch den fünften Ritter treten wir digital mit den Angeboten und Vertreterinnen eines Unternehmens in Kontakt. Analoge Schnittstellen werden kostenpflichtig beziehungsweise zum Premium-Erlebnis. Kundenbetreuung im WWW findet rund um die Uhr statt. Unsere Kundengeschichte ist für autorisierte Personen bis ins kleine Detail zugänglich. Chatbots und Influencer bewerben als digitale Werbesäulen die Angebote Tag und Nacht . Sie sind befugt, einfache Probleme zu lösen.

Ritter 6 – Delegation von Arbeit an Maschinen: Der sechste Ritter beschreibt die Verlagerung von Arbeit weg von Menschen hin zu Maschinen. Der Roboter mäht den Rasen, Drohnen unterstützen Bauern beim Giessen, Düngen und dem Streuen von Pestiziden. Selbstfahrende Fahrzeuge ersetzen Kuriere und Chauffeusen. Die grössten Veränderungen sind im Büro zu erwarten. Künstliche Intelligenz erledigt die Buchhaltung, kann aber auch Brustkrebs diagnostizieren und Zahnspangen formen.

Changebedarf durch die Ritter

Die digitalen Ritter fordern Unternehmen auf vielen Ebenen heraus. Erstens verändern sie die Wettbewerbssituation. Quasi über Nacht können neue Konkurrenten auftauchen, häufig aus einer fremden Branche. Folglich besteht eine erste Aufgabe für etablierte Unternehmen darin, die Konkurrenzsituation regelmässig zu scannen. Typischerweise wird auf Disruption in der Automobil-, Uhren- und Finanzdienstleistungsindustrie verwiesen. Aber auch im Gesundheitswesen werden zum Beispiel durch die datenbasierte Diagnose psychischer Erkrankungen oder die Analyse von medizinischem Bildmaterial durch KI neue Wettbewerber entstehen. Viele Unternehmen müssen durch den Auftritt der Ritter an ihrem Geschäftsmodell arbeiten – weil ihre Mehrwerte nicht mehr en vogue sind oder ihre Margen erodieren.

Die neuen Konkurrenten machen den Kunden neue Angebote. Zum Beispiel in der Assekuranz: Statt monatliche Policen zu überweisen, versichert man einzelne Ereignisse – vielleicht seine Foto-Ausrüstung für einen zweiwöchigen Abenteuertrip durch den Dschungel. Auch wenn Intermediäre wegfallen, «Supermediäre» wie Airbnb und Amazon auftreten oder Wertschöpfungsketten aufbrechen, entsteht Reflexionsbedarf. So findet heute der ganze Prozess von einer Untersuchung bis zur Operation im gleichen Spital statt. In Zukunft könnte ein Teil der Diagnose zuhause mit Hilfe von Chatbots passieren. Das Gespräch über mögliche Behandlungswege findet in einem Kaffee statt, die Operation ambulant in einer Praxis.

Unternehmen müssen durch immer neue Ritter sowohl auf der Ebene der Technologien wie auch der Fähigkeiten wachsam bleiben. Es braucht eine regelmässige Überprüfung des Technologie-Portfolios wie auch der menschlichen Fähigkeiten, um die Angriffe der Ritter zu parieren. Das Schlagwort Skill-Shift macht deutlich, wie neue Technologien (also der sechste Ritter) die entscheidenden Fähigkeiten laufend verändern. Die strategische Personalplanung gewinnt als Disziplin an Bedeutung. HR sollte antizipieren, wie sich heutige Profile durch die sechs Ritter verändern könnten. Ebenso wichtig ist es (auch im Sinne eines sozialverantwortlichen Arbeitgebers), ganz neue Rollen anzudenken. Schulen werden künftig vielleicht Netzwerkerinnen anstellen, Supermärkte Menü-Empfehler, Banken Krypto-Expertinnen.

Fantasie als Erfolgsfaktor

Wer keine Angst vor den Rittern haben möchte, sollte die Fantasie seiner Mitarbeitenden fördern. In einer digitalen Welt sind Kreativität und Beziehungsarbeit besonders wichtige menschliche Eigenschaften. Maschinen stellen keine Fragen, keine kritischen Fragen, können sich nicht selber reflektieren, sind aufgrund fehlender emotionaler Erfahrung nur bedingt emphatisch. Unternehmen, die sich der Fantasie verschreiben, erkennen, wie sich die Welt verändern könnte, was die Ritter vorhaben, was Kunden in Zukunft für Wünsche haben und wie man in einer vernetzten Welt Sinn stiften kann. Wer die Transformation ernst nimmt, wird auch seine Organisationsformen und Führungsverständnisse prüfen. Kreativität lässt sich schlecht in starren Hierarchien mit altmodischen Führungskräften entfalten.

Schliesslich bedeutet der Auftritt der Ritter, vermehrt mit anderen Unternehmen zu kooperieren. Gemeinsam kann man von Synnergien profitieren und durch das Teilen von Ressourcen der unglaublichen Kraft der Ritter etwas entgegensetzen. Im dritten Teil zum Siegeszug der Plattformen wird genau dieser Aspekt näher beleuchtet.

Teil 3: Ökosysteme als Schutz vor disruptiven Rittern

Die Zukunft des Kapitalismus ist von Ökosystemen geprägt, leidet die Wirtschaft der Plattformen doch unter Hypereffizienz. Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung steigern zwar kontinuierlich die Effizienz.

Aber sie drängen die Menschen aus dem Arbeitsmarkt, die zunehmende Projektarbeit macht Mitarbeitende zu Konkurrenten. Eine zu effiziente Wirtschaft könnte ausserdem der Arbeit den Sinn und dem Konsum die Sinnlichkeit nehmen. Wohlmöglich geht noch das Geld für den Konsum aus. Dagegen stehen Ökosysteme für ein vitales Zusammenspiel von kleinen und grossen Unternehmen, von Menschen und Maschinen und von wirtschaftlichen Entwürfen jenseits der Hypereffizienz.

Nutzen und Notwendigkeit von Partnerschaften

Kooperationen sind zunächst für jene Unternehmen unverzichtbar, die sich vor den Veränderungen der digitalen Ritter und den auftraggebenden Megaplattformen fürchten. Werden Apotheken, Buchhandlungen, Treuhänder, Druckereien und Poststellen den Sturm überleben? Mit anderen zusammen zu arbeiten, könnte auch für jene notwendig sein, die nicht glauben, die digitale Transformation alleine stemmen zu können. Lösungen in der Datensicherheit, der Künstlichen Intelligenz (KI) und dem Datenmanagement setzen neben Geld entsprechende Kompetenzen voraus. Die Ritter bringen eine Wirtschaft hervor, in der die Qualität der Netzwerkeffekte entscheidet, ob man sich auf dem Markt behaupten kann. Zumindest gilt die Spielregel dort, wo man ein Produkt entweder mit wenig Mehrkosten quasi unendlich oft verkaufen kann (z.B. Netflix, Spotify) oder die Anzahl der Nutzerinnen und Angebote über den Wert der Plattformen entscheiden (z.B. Instagram, booking.com, Amazon).

Gründe zu Kooperieren

Im Ökosystem erbringt eine Gruppe von Unternehmen gemeinsam eine Leistung für die Kunden – zum Beispiel als Tourismusdestination, als integriertes Mobilitätsangebot, multimediale Agentur oder Beratungsboutique. Dabei teilen sich die Kooperationspartner Ressourcen, insbesondere Maschinen, Mitarbeitende, Daten, KI-Anwendungen sowie den Kundenzugang. Alternativ könnte man von einer Sharing Economy auf der B2B-Ebene sprechen. Während der Wettbewerb, der Konkurrenzgedanke innerhalb des Verbunds abnimmt, nimmt er zwischen ihnen aufgrund der Kräfte der Plattformwirtschaft zu. Auch aus einer Innovationssicht kann es sinnvoll sein, die Unternehmensgrenzen neu zu denken. Dann geht man nicht aus der Not, sondern aus Lust auf Innovation Partnerschaften ein. Im Verbund bieten sich Möglichkeiten der Produkt-, Prozesse- und Organisationsentwicklung, die man als einzelgängerisches Unternehmen nicht hat. Zudem sind neue Ansätze im Talentmanagement, bei Big Data sowie der Entwicklung von KI denkbar.

Ökosysteme vs. Plattformen

Ökosysteme können sich dem Zwang der Skalierung bei skalierbaren Produkten ebenso wenig entziehen wie der Organisation der Kundenbeziehung über eine Plattform. Im Unterschied zur Plattformwirtschaft steht eine Wirtschaft der Ökosysteme für Wettbewerb aber nicht für dominierende Monopole, mit Tendenz zur versiegenden Innovationskraft einer Volkswirtschaft. Insbesondere ermöglicht sie KMU gegen die Riesen aus Amerika und China zu bestehen (die als Megaplattformen eigene geschlossene Ökosysteme bilden). Aus Sicht der Kunden verspricht die Synchronisation mehrerer Unternehmen Vereinfachung und Zeitersparnis (wenn zum Beispiel Daten nicht mehrmals erfasst werden müssen). Zudem müsste es Ökosystemen gelingen, smarter, das heisst nachhaltiger, effizienter und sparsamer mit Ressourcen umzugehen. Das Versprechen einer Wirtschaft der Ökosysteme gleicht damit jenen der Kreislaufwirtschaft.

Systematik möglicher Partnerschaften

Während die Idee einer Wirtschaft der Ökosysteme eine weit verbreitete ist, fehlt es bisher im Managementmainstream an Modellen, um die Entwicklungswege dieser zu beschreiben beziehungsweise rückblickend zu erklären. Insbesondere ist unklar, welche Unternehmen zusammen ein Ökosystem bilden sollten. Der Theorielücke entspricht eine Praxis, in der eher zufällig denn geplant Kooperationen eingegangen werden. Naheliegend erscheint es zwecks Orientierung, die Bausteine eines Ökosystems für die Entstehung von Ökosystemen zu bemühen. Unternehmen könnten folglich zusammenfinden,

Die Strategie-Typen existieren jeweils in zwei unterschiedlichen Ausprägungen. Sanfte Innovation passiert durch das Hinzufügen von Ähnlichem. Dagegen orientiert sich der radikale Kooperationsweg am Prinzip der Disruption. Geltende Marktgesetze und –gepflogenheiten werden ausgehoben. Das verlangt Technologien, Fähigkeiten oder Bedürfnissen überraschend zu kombinieren. Je ungewohnter die Kombination, desto disruptiver die mögliche Marktveränderung.

Klassische Entwicklungswege einer Krankenkasse

Die Strategietypen werden nun am Beispiel einer Krankenkasse durchgespielt. Folgt diese einer klassischen Marktstrategie (B-Strategie), könnte man Risiken aus anderen Lebensbereichen versichern (Wohnen, Reisen). Disruptiver wäre das Management des Todes – vor dem Hintergrund der steigenden Bedeutung des Vererbens von Daten und dem Wunsch selbst zu bestimmen, wann man aus dem Leben scheidet. Bei einer F-Strategie könnte man mit Ärzten zusammenarbeiten und im Verbund selbst medizinische Versorgung anbieten. Krankenkassen verfolgen diese Strategie mit dem Aufbau eigener Gesundheitszentren. Weitergedacht könnte man Know-How akquirieren, um die Beziehungen in den Netzwerken einer Stadt zu simulieren. Dahinter versteckt sich die Annahme, dass sich Gesundheit, Glück und Viren über Netzwerke verbreiten.

Strategien der Entwicklung eines Ökosystems

B- und F-Strategien kennt die Betriebswirtschaftslehre schon lange (Outside-In und Inside-Out). In Folge der Digitalisierung entstehen zusätzliche Entwicklungspfade. Die T-Strategie zielt darauf ab, die richtigen Technologiepartner zu finden. Eine Krankenkasse könnte zwecks Psycho- und Physiotherapie auf Augmented Reality setzen. Noch radikaler wäre die Zusammenarbeit mit einem Sequenzierer des Mikrobioms – gewinnt doch die Hirn-Darm-Achse in Diagnose und Therapie an Bedeutung. Die D-Strategie zielt auf die Integration von Daten. Durch die Auswahl der Kooperationspartner verspricht sich Personalisierung, zusätzliches Wissen sowie den Eintritt in neue Märkte. Geodaten oder Informationen über unsere Ernährung und Fitness verschaffen Einblicke in unsere psychosoziale Gesundheit. Offensichtlich entstehen bei diesem Pfad neben technologischen viele ethische Fragen.

Überlegenheit der T-Strategien?

Ohne Technologie gibt es keine Skaleneffekte. Menschliche Fähigkeiten lassen sich nicht unendlich wiederholen. Das lässt vermuten, dass T-Strategien allen anderen Entwicklungspfaden überlegen sind. Für das Management geht es also in den nächsten Jahren wesentlich darum, passende Technologiepartner zu finden. Die Überlegenheit der T-Strategie gilt zumindest dann, wenn man sich als Ökosystem nicht gegen den Zwang zur Skalierung entscheidet. Alternativ könnte man sich für eine Wirtschaft entscheiden, die sich der Logik des Wachstums, der Effizienz und entzieht. Eben diese Gegenwirtschaft steht im Zentrum des nächstens Beitrags über die Plattformwirtschaft. Folgt ein Unternehmen diesem alternativen Pfad in die Zukunft, geben gemeinsame Visionen der Zukunft vor, mit wem man ein Ökosystem bildet.

Teil 4: Die Gegenwelt des Skalierbaren

Im vierten Beitrag zur Wirtschaft der Plattformen steht deren Gegenwelt im Fokus. Die Unternehmen der Gegenwelt orientieren sich am Nicht-Digitalen, Anti-Digitalen und Post-Digitalen. Sie bringen eine Wirtschaft hervor, in der anders als in der Welt der digitalen Ritter nicht alles gemessen, maximiert und an Maschinen delegiert werden muss.

Gegen die digitalen Ritter

Die Unternehmen, die sich in der Gegenwelt der Plattformen zusammenfinden, verzichten darauf, ihre Angebote zu digitalisieren. Kunden werden nicht zu Mitarbeitern gemacht, Vertrieb und Betreuung nicht online abgewickelt. Effizienz und Wachstum stehen nicht im Vordergrund. Stattdessen setzen sie auf den persönlichen Kontakt, das Glück des Moments, auf das Unikat, das Sinnliche und Emotionale. Offensichtlich eignen sich jene Güter besonders für die Gegenkultur, die sich nicht digitalisieren lassen. Sie umfassen zum einen all jene Produkte, die wir mit unseren Händen anfassen können, unsere Kleider, Nahrungsmittel und Möbel. Diese Kulissen unseres Alltags bleiben so lange relevant, wie wir nicht vollständig in die Virtualität umgezogen sind. Je mehr wir das Unikat schätzen, desto offensichtlicher der Verweis auf das Handwerk und kleine Strukturen, die anders als Nestle und IKEA, das einzigartige Nicht-Perfekte hervorbringen.

Das Nicht-Digitalisierbare

Zur Gegenkultur gehören auch Produkte und Dienstleistungen, bei denen wir das Menschliche bewusst wahrnehmen. Der Vorzug gegenüber den Maschinen kann objektiv darin bestehen, dass die Maschine zu ungeschickt oder zu teuer ist. Er kann auch durch persönliche Präferenzen entstehen – wenn wir uns in der Obhut von Menschen wohler, besser verstanden fühlen. Diese Vorzüge umfassen das Sinnliche und Emotionale – im Restaurant, im Krankenhaus, im Theater. Im Gegensatz zu den Maschinen zweifeln, trauern, altern, lieben wir, haben Sex. Wir essen, werden betrunken und krank, sterben. Weil den Maschinen diese Erfahrungen fehlen, sind sie nur bedingt fähig, uns in Situationen zu unterstützen, die direkt mit dieser Menschlichlichkeit zusammenhängen. Um sich gegen die digitalen Ritter zu wehren, sind die Anbieter menschlicher Produkte und Dienstleistungen allerdings auf eine genügend grosse Kundschaft mit entsprechender Zahlungsbereitschaft angewiesen.

Gegenkultur als analoge Revolution

Das Anti-Digitale beschreibt eine zweite Kategorie von Unternehmen, die sich der Logik der Skalierbarkeit entziehen wollen. Sie finden sich im Dunstkreis der Gegenkultur der Offliner, die sich nicht widerstandslos der Digitalisierung und ihren Treibern hingeben will. Untergruppen der Offliner sind jene, die in einer von Algorithmen geprägten Welt für das Zufällige kämpfen, sich gegen eine McDonaldisierung wehren, sich vor dem Transhumanismus fürchten, sich für ausgeprägten Datenschutz einsetzen oder sich vor Vereinsamung und Verdummung fürchten. Eine immer wichtigere Fraktion kämpft gegen die Gefahren des Energie- und Ressourcenverschleisses und eines ungehemmten Klimawandels. Die Schattenseiten und Nebenwirkungen der Digitalisierung zeigen, dass es unterschiedliche Varianten einer digitalen Zukunft gibt und sich in Alternativen neue Innovationspotenziale verstecken: Ein soziales Netzwerk, das an Datenschutz glaubt, ein kompostierbares Handy, ein Label für Produkte, die ohne Maschinen hergestellt wurden.

Wiederholte Probleme statt Skalierung

Eine dritte Gruppe von Unternehmen orientiert sich statt an den Versprechen des Plattformkapitalismus an den Herausforderungen einer Zukunft, in der das Digitale selbstverständlich geworden ist. Deren Errungenschaften werden einst ebenso selbstverständlich und unspektakulär sein, wie der Zugang zu Hochgeschwindigkeitszügen, Wasser oder Strom. Zu den wichtigsten Trends des Post-Digitalen gehören die Gesellschaft der Hundertjährigen, das Recycling, die Entdeckung der Sprachen von Tieren und Pflanzen oder überhaupt die biologische Transformation. Diesen Akteuren geht es weniger um Netzwerkeffekte als um gesellschaftspolitische Herausforderungen, die an vielen Orten des Planeten in ähnlicher Form auftauchen. Freilich besteht hier das Potenzial der klassischen Skalierung in Form von Economies of Scale. Durch Copypaste werden Fixkosten und Anlagevermögen reduziert. Allerdings besteht die Gefahr durch zu viel Einförmigkeit wie die Ritter zu entsinnlichen, zu entmenschlichen.

Und eben doch: Digitale Ritter im Nacken

Sich ganz den digitalen Rittern zu entziehen wird insbesondere schwierig, weil wir immer mehr online einkaufen und sich auch unser Informationsverhalten ins Internet verlagert hat. Wer heute einen Psychotherapeuten oder ein Restaurant sucht, durchblättert kein Telefonbuch mehr. Wir suchen im Netz – und dort häufig in den Verzeichnissen der Megaplattformen, via Google, Instagram und booking.com. Das setzt von wirtschaftlichen Akteuren digitale Präsenz, den Aufbau und die Pflege von sozialen Medien und damit die Kooperation mit Plattformen voraus. Diese Abhängigkeiten sind insofern problematisch, weil die Ritter Daten, Margen und die Besetzung der Kundenstelle erobern. Die Plattformen gewinnen durch Metadaten auch Wissen sowohl über die Gegenwart als auch über die Zukunft. So lange wir in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem leben, wird es zudem um Effizienz und die Senkung von Kosten gehen. Das erfordert im Sinne der Massenproduktion, wann immer möglich Abläufe zu standardisieren und (Logos, Kleidung, Rezepturen) zu wiederholen.

Die gesellschaftspolitische Dimension

Zwar können wir alle in unserem täglichen Konsum darauf achten, nicht nur Skalierbares und Effizienzgetriebenes zu kaufen. Doch die digitalen Plattformen sind vielerorts zu einer Art Infrastruktur des öffentlich-ökonomischen Lebens herangewachsen, die wir kaum noch umgehen können. Es scheint ganz so, als könnten wir der Dominanz der Ritter nicht einzig im Wirtschaftlichen entgegentreten. Offensichtlich hat deren Erscheinen eine gesellschaftspolitische Komponente. Die Ritter tangieren mehr als die Wirtschaft, sie prägen auch die Art und Weise wie wir als Gesellschaft funktionieren und wie sich Steuern, Bildung, Infrastruktur oder Sozialversicherungen verändern könnten. Im fünften Teil wird es folglich darum gehen, die Auswirkungen der Ritter auf dieser politischen Ebene zu diskutieren. Wir können uns entweder für Gesetze und neue Steuern einsetzen, soziale Innovation und sozialorientiertes Unternehmen fördern oder aber eine neue digital-ökonomische Aufklärung einfordern.

Teil 5: Die Sicht der Gemeinschaft

Wollen wir die Dynamik des technologischen Wandels nutzen und deren Nebenwirkungen auffangen, tun wir gut daran, die Crowd-Ökonomie zu stärken und den Staat als Investor sozialer Innovation zu denken. Leader, Influencer und Gurus leisten ihren Beitrag, wenn sie die Angst vor der Zukunft reduzieren.

Auf der Suche nach sozialer Innovation

Die bisherigen Artikel in dieser Serie zur Plattformwirtschaft argumentierten aus der Sicht der involvierten Unternehmen. Der Fokus lag auf den Treibern und Akteuren, die als digitale Ritter den Kapitalismus verändern. Im letzten Beitrag wurde die Gegenwelt zur Wirtschaft der an Effizienz, Wachstum und Daten orientierten Plattformen thematisiert. Doch Wirtschaft findet immer in und mit einer Gemeinschaft statt. Will sich diese bei der Gestaltung ihrer Zukunft nicht völlig einer Marktlogik (und damit den ökonomischen Kräfteverhältnissen) unterwerfen, sind soziale Innovationen gefragt: Mutige Reformen, die das Zusammenleben und -arbeiten verbessern. Menschen sollen sich nicht einsam, traurig, unsichtbar, ausgestossen oder verbittert fühlen. Man könnte von einer Ökonomie des Glücks sprechen, in der sich alle Beteiligten statt an Geld und Profiten am Glück orientieren. Dazu passend hat die neuseeländische Premierministerin vor einigen Wochen ein Glücksbudget präsentiert. Staatliche Ausgaben müssen unter anderem die psychische Gesundheit verbessern und die negativen Emissionen der Wirtschaft verringern.

Wiederholung statt Skalierung

Die neuseeländliche Premierministerin hat erkannt, dass Märkte soziale Innovationen nur bedingt hervorbringen. Zu sehr sind sie an Effizienz, Kostensenkung, Margen und Skalierbarkeit interessiert. Soziale Innovation dagegen orientiert sich am Gemeinwohl. Statt Problemen, die man durch eine Plattform effizient und skalierbar lösen kann, stehen gesellschaftliche Herausforderungen im Vordergrund, die sich in hoher Anzahl an verschiedenen Orten wiederholen. Diese Überlegungen führen zu globalen Megatrends. Neben der digitalen Transformation und seiner analogen Gegenbewegung fallen der demographische Wandel ins Gewicht, die biologische Revolution, das asiatische Zeitalter, die Urbanisierung und die ökologische Wende. In all diesen grossen Veränderungen entstehen für eine Gesellschaft Herausforderungen – zum Beispiel in Form von Einsamkeit, ausgehöhltem Datenschutz, Abfall, Energieabhängigkeiten, verstärkten politischen Trennlinien. Soziale Innovation heisst hier, nach Lösungen zu suchen, die der ganzen Gemeinschaft zu Gute kommen.

Der Staat als Investor

Als Gesellschaft können wir, um diese Probleme zu bewältigen, zunächst Anreize für ein anderes Verhalten von Bürgerinnen und Unternehmen setzen. Wichtige Hilfsmittel dieser Steuerung sind Gesetze und Steuern. Zum Beispiel können wir Abfall stärker besteuern. Mit einer Tobin-Tax würden wir den Aktienhandel in die Pflicht nehmen und das langfristige Investieren fördern. Umgekehrt sind die erhobenen Steuern Mittel, um gemeinsam in unsere Zukunft zu investieren – und beispielsweise den Service Public des digitalen Zeitalters stärken. Er umfasst Suchmaschinen mit transparenten Algorithmen, digitale Bildung für ältere Menschen, technische Lösung für das anonyme digitale Bezahlen und einen persönlichen Datentresor für das Speichern und Teilen unserer Daten. Um die Nebenwirkungen der Digitalisierung zu lindern, braucht es öffentliche Räume, die zufällige Begegnungen und die Auseinandersetzung mit aktuellen Themen fördern, wie Klaviere in Bahnhöfen, öffentliche Theatervorstellungen, Ausstellungen und Parkanlagen. Genauso könnten wir in die Bewältigung anderer Megatrends investieren. Um gemeinsam die sozialen Innovationen zu gewichten, bräuchte es wohlmöglich eine soziale Kryptowährung, mit der wir als Bürger bestimmen können, in welche Projekte des Staates wir wieviel investieren wollen.

Die Crowd-Ökonomie

Gewiss, der Staat kann einen Teil dieser sozialen Innovationen antreiben und finanzieren. Aber das reicht nicht aus. Genauso wichtig scheint die Crowd-Ökonomie, in der wir uns mit Gleichgesinnten für unsere Visionen einsetzen. Dazu braucht es Plattformen, Banken und Fonds, die sich statt an Profiten an der Sinnhaftigkeit der Arbeit sowie der Wertschöpfung für die Gemeinschaft orientieren. Vielleicht sollten wir dazu weniger in festen Unternehmen als in Projekten denken. Zum Beispiel können wir beim Crowdfunding direkt in Aktivitäten investieren, die uns am Herzen liegen. Belohnt werden wir statt mit Geld, mit dem Zugang zu den Dingen, Dienstleistungen und Innovationen. Unternehmen können diese Bewegung verstärken, indem sie einen Teil ihrer Gewinne in solche Projekte und Fonds investieren. Den Gesetzen der Crowd-Ökonomie folgend, müssten sie ihre Kunden und Mitarbeitenden entscheiden lassen, welche soziale Innovationen sie fördern wollen. Ein Teil der Gewinne fliesst zurück in die Gesellschaft, wobei wir alle entscheiden, wie wir in unsere Zukunft investieren. Amazon Smile zeigt, wie und wo man dazu ansetzen könnte.

Lust auf Zukunft

Gegenwärtig scheint ein Zukunftsschock vielen die Lust im Wandel zu rauben. Steigt die Angst weiter an, werden Populismus und Technologieskepsis zunehmen. Für soziale Innovation ist beides nicht eben förderlich. Zum einen braucht es für staatsgetriebene Reformen Mehrheiten an der Urne. Zum anderen sind soziale Innovationen, zumindest teilweise, untrennbar mit neuen Technologien, zum Beispiel Newsbots, Datentresore oder neue Formen des anonymen Bezahlens verbunden. Um soziale Innovationen zu stärken, könnten Leader, Influencer und Gurus schliesslich versuchen, den grassierenden Ängsten, Chancen entgegen zu setzen. Eine ungewisse Zukunft kann man jedoch nur geniessen, wenn man etwas über die Gegenwart weiss. Das unterstreicht zuletzt die Bedeutung einer digital-ökonomischen Aufklärung. Je besser wir die Kräfte der Ritter und Plattformen verstehen, desto besser können wir sie gemeinsam in die gewünschte Richtung lenken.


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