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Kanazawa, 2014

Die Sakura, die Blütezeit der japanischen Kirschbäume, ist auch ein Symbol für das Rad des Lebens. Die Knospen wachsen, die Blüten entfalten sich und fallen nach ihrer vollsten Pracht erschöpft zu Boden. Nicht alle Bäume sind ihrer Entwicklung gleich weit. Während also die einen noch grün dastehen, regnet es andernorts Blütenblätter. Im Strom des Regens treiben die toten Blüten im Wasser. Dort aber wo sich noch da sind, verleihen die blühenden Bäume Leichtigkeit und Fröhlichkeit. Man spürt dies besonders gut, wenn man wie gestern im prächtigen Sonnenschein dem Fluss entlang geht.

Von Fukuoka aus bin ich zurück in die Landesmitte gefahren. Zum ersten Mal fuhr ich mit einem lokalen Schnellzug und nicht mehr nur mit einem Schinkansen. Das hätte alles wunderbar geklappt, wäre ich nicht zwischen meinem Koffer und einem alten Mann für eine Stunde eingesperrt gewesen. Überhaupt ist mein Reisegepäck trotz Investition in einen grossen Schalenkofer bedenklich angeschwollen, so dass der Transfer zwischen zwei Destinationen so beschwerlich wie eh und je geworden ist. Die Reise allerdings war wunderbar und rief mir in Erinnerung, dass ich mich eigentlich in einem Archipel befinde und wie traumhaft die Natur hier wäre, würde sie nicht überall vom Menschen zurückgedrängt.

Aufgrund der Geschichte entschied ich mich für Kanazawa als vierte Destination meiner Reise. Etwas höher gelegen als die bisherigen Städte ist das Klima etwas härter, dafür beiten schneebedeckte Hügelzüge eine schöne Aussicht. Die vergleichsweise kleine Stadt (450.000 Einwohner) fühlt sich durch ihre Grösse und die Präsenz ihrer Geschichte, vor allem aber durch ihre Stimmung als das Bern von Japan an. Es ist klein und unaufgeregt, dafür gemütlich und voller Geschichte. Auch hier scheint sich für alles etwas mehr Zeit zu nehmen. Zwar sind die Sehenswürdigkeiten über die ganze Stadt verteilt, aber man kann gut alles zu Fuss laufen.

Die Menschen sind erstaunlich offen für Japaner, sprechen aber deutlich schlechter Englisch als in Tokyo. Sie zeigen eine grosses Interesse an Touristen, machen Komplimente und zeigen sich stolz und glücklich, wenn man ihre Gastfreundschaft oder ihre Produkte wertschätzt. Ohne Worte ist man auf Mimik und Gestik angewiesen, um zu kommunizieren. Ergänzt mit einigen Schlagworten genügt dies, um die wichtigsten Dinge zu erledigen. Ich habe jetzt auch verstanden, warum man beim Essen die Schuhe auszieht und an der Kasse bezahlt. Während des Essens soll man sich als Gast zu Hause fühlen, erst danach wird das geschäftliche geregelt.

Kanazawa ist das Bern von Japan. Es ist klein und unaufgeregt, dafür gemütlich und voller Geschichte.

Die Stadt ist voller Tempel. Die Tempel sind schlecht beziehungsweise gar nicht restauriert, farblos und nicht inszeniert. Dafür ist ihre Häufung eindrücklich. Es gibt Quartiere, in denen jedes zweite Haus ein Tempel ist. So viele Tempel können von der Stadt nicht gehegt und gepflegt werden. Die Grabsteine auf den in den Quartieren integrierten Friedhöfen nehmen schräge Stellungen ein, Katzen mit Stummelschwänzen sonnen sich vor Buddhastatuen mit verwesten Gesichten. Die Tempel modern in dunklem Holz vor sich hin und man beginnt sich umzunutzen. In einigen Tempeln wohnen Menschen und heute ich das erste Kaffee in einem Tempel entdeckt. Neben den Tempeln gäbe es zahlreiche Restaurants mit 4-5 Tischen, wo man ganz Abende verbringen könnte.

Wie aufregend muss das hier einmal gewesen sein, damals als es noch Samurai und Geishas gab, als die Stadt noch eine einzige Tempelstadt war. Ich besuchte einen Tempel mit geheimen Türen, Räumen und Fallen. Eine Führung (auf japanisch, mit pingelig übersetztem Handbuch in englisch und plakativen Fotos, “Passen Sie auf…” “Geben Sie das Handbuch am Ende der Führung”… )versetzte mich in die Zeit, als es noch keine Technologie, keine neuen Materialien, keinen Beton gab. Die Geschichte erwacht hier, so wie die Tiere in diesem Kinderfilm im Museum plötzlich lebendig werden. Es gibt hier ganze Quartiere die noch sehr originalgetreu erhalten sind und Zeugen dieser Zeit sind. Meist fehlt offenbar das Geld und die Zeit, um die Geschichte ins heutige zu übertragen und so lässt man vieles einfach verfallen.

Das Wetter war teilweise grauenhaft hier. Das gab mir etwas mehr Zeit, um nichts zu tun, einen Gang herunterzuschalten. Von der Leere habe ich profitiert und lange geschlafen. Nachdem ich aufgestanden bin, organisiere ich Kaffee, bevor ich mit einem vagen Ziel loslaufe und quer durch die Stadt alle Eindrücke in mir aufnehmen. Ich spüre, wie sich die Batterien mit neuer Energie füllen. Immer noch muss ich der Versuchung aktiv widerstehen, das Nichtstun nicht als Sünde zu betrachten. Neue Gedanken setzen voraus, dass die die Festplatte zuerst geleert wird. Zu einem gelungenen Tag gehört das Verspeisen einer japanischen Patisserie. Diese können geschmacklich fast immer mit den süssen Exklusivitäten von Zuhause mithalten, optisch aber sind diese durch ihre Details unseren sogar überlegen.


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