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und wenn Du für immer bei uns bleibst, Corona? Hacks für die Zukunft der Arbeit

Illustration von Karsten Petrat

Liebste Corona Die langen Nächte des Lockdowns sind vorbei, dafür duften die bizarren Blüten des hochgewachsenen Mais. Eben war ich an seinen Rändern spazieren. Die Katzen haben mich begleitet, sie lieben es, sich zwischen seinen Stängeln ein Rennen zu liefern. Co & Rona wollte ich sie taufen – nur wenige Tage trennen ihre Ankunft vor der Deinigen. Ich werde sie immer mit unserem Sommer 2020 verbinden. Lulu, die viele Tage des Lockdowns hunderte Meter von Zuhause entfernt verbrachte. Coco, die nach einem schweren Unfall ihren Schwanz verlor, ein zweites Mal laufen lernen musste. Sie werden Dein Mahnmal sein.

Du fragst, warum ich Dir schreibe? Ist es nicht offensichtlich? Angeregt von den wieder steigenden Fallzahlen, den Masken, die wir nun selbstverständlich tragen, den neuen Formen uns zu begrüssen, den Gesprächen mit Freunden, die ich seit Monaten nicht mehr getroffen habe, verweile ich im Gedankenspiel, was wäre, wenn Du für immer bei uns bleiben könntest. Wir wissen beide, dass Du in ein paar Jahren Deine Kraft verlieren und Du ähnlich wie die Grippe zum unsichtbaren, unscheinbaren Gast werden wirst. Aber bis dahin bleibt Dir Zeit, um Dein Werk zu vollenden. Wir dagegen erhalten etwas Aufschub, um Deinen Botschaften Taten folgen zu lassen. Bis Du gehst, darf die Zukunft noch Zukunft sein.

Schnell waren wir uns einig, warum Du die glorreiche Zeit der überteuerten Büropaläste beendet hast. Du hast alle Gründe verstärkt, die schon lange gegen das Büro sprachen: die fürchterliche Stallhaltung der Kreativen, die fehlende Vernetzung mit der Aussenwelt, die hilflosen Kontrollversuche der Vorgesetzten, die Kosten und Umweltsünden. Weisst Du, dass man sich noch lange vor Dir fürchten wird? Schulen, Banken, Spitäler wollen um jeden Preis vermeiden, dass Du oder eine Deiner Verwandten sich einnistet. Quarantäne darf kein Grund für Stillstand sein. Deshalb hast Du in unserem Zuhause das Einzelbüro auferstehen lassen. In Bürogemeinschaften, Co-Working-Spaces und Parks werden wir nicht gehen, um zu arbeiten, sondern um uns zu sehen.

Du hast die Unternehmen angeregt zu schrumpfen. Nicht nur das Risiko des Superspreadings spricht für Redimensionierung. Die Digitalisierungswelle, die Du ausgelöst hast, wird wuchtig. Wer wird noch anstehen, am Schalter ein Ticket kaufen, etwas holen, das man sich liefern lassen kann? Automaten werden scannen, einkassieren und kontrollieren. Endlich haben die Einzahlungsscheine ihre lang erwarteten QR-Codes. Kein Mensch wird noch Rechnungen visieren, kontrollieren, in ein Couvert legen. Du legitimierst die Automatisierungs- und Rationalisierungsprogramme, die längst in der Schublade lagen. Administrativ aufgeblähte Unternehmen werden bald ihre Entlassungen verkünden. Klein geschrumpft wird’s persönlicher, kann man schneller entscheiden.

Durch Dich erkannten wir, wie ein radikal vereinfachter Alltag aussehen könnte. Wie befreiend es war, weniger Sitzungen zu absolvieren, weniger zu pendeln, weniger Leute zu treffen. Uns wurde klar, wie mühsam es ist, sich online in grossen Gruppen abzustimmen. Laut hast Du hinter meinen Schultern gelacht, wenn wir in Zooms mit mehr als fünf Leuten stilvoll diskutieren wollten. Schrumpft Euch gesund, hast Du gesagt. Verkleinert die Teams, die Geschäftsleitungen, die Expertengremien. Überhaupt: denkt Eure Unternehmen kleiner. Woher kommt Euer bizarrer Wunsch, gross zu sein? Um alles billiger zu machen, um noch mehr von den Dingen kaufen zu können, die wir im Lockdown zusammen mit Marie Kondo ausgemistet haben?

Streicht den Kaderstatus, vergesst die Verwaltungsräte – sagtest Du nach ein paar Gläsern Wein. Reicht es Euch nicht eine strategische Führungsebene zu haben? Was nützen Euch Soundingboards, die nicht in die Zukunft blicken, sich Veränderungen verweigern, sich nicht durch Unterschiedlichkeit auszeichnen? Wie soll ein Verwaltungsrat über das Digitale entscheiden, der seine Frau braucht, um in Zoom zu erscheinen, ein Direktor, dessen Büro voller Papier ist? Wohin führen Feedbacks, die nicht ehrlich sind, Sitzungen, in denen wir nicht sagen, was wir denken? Was tun wir mit all der Energie, die wir gewinnen, wenn wir keine Rollen mehr spielen? Deine hartnäckigen Fragen habe ich mir aufgeschrieben. Du wirst prüfen, ob ich standhaft genug war, Deine Meinung zu vertreten.

Du hast uns daran erinnert, wie geil es ist, sich ganz in einem Thema zu verlieren. Vormittage lang recherchierten wir, was Du wieder angestellt hast, wie wir uns überfordert auf Deinen Besuch einstellen. Weil es egal war, wann wir aufstanden, versurften wir auch unsere Nächte. Corona, Du lerntest uns wieder zu staunen, die kindliche Aufregung zu fühlen, wenn wir etwas unbedingt wissen wollen. Diese Leidenschaft müssen wir uns erhalten – für die Zeit, wenn Du nicht mehr da sein wirst. Mitarbeitende sollten einen wöchentlichen Lese-Lerntag geschenkt erhalten, einen Teil des Lohns als gegenseitige Verpflichtung auf ein Weiterbildungskonto einzahlen. Karriere soll machen, wer als Influencer neue Perspektiven populär macht.

Aber was wollt ihr denn überhaupt wissen, hast Du gefragt. Warum wollt ihr fortschreiten? Ich hatte keine Antworten. Wolltet ihr nicht die Risiken, Probleme und Unbequemlichkeiten Eurer Gegenwart überwinden? Du hast vorgeführt, warum Digitalisierung alleine kein Fortschrittsprojekt ist. Wir müssen sie mit Sinn aufladen, mit einem nachvollziehbaren Zweck. Um den Klimawandel zu stoppen? Den Pflanzen und Tieren zuzuhören? 200 Jahre alt zu werden? Du hast recht, mit Deiner naiven Idee, Unternehmen sollten sich verbünden und ihr Innovationstreben einem gemeinsamen Fortschrittsprojekt unterordnen, zusammen Start-Ups fördern, die Verletzlichkeiten kurieren, die Du sichtbar gemacht hast, die Welt besser machen.

Was wird sein, wenn Du nicht mehr da bist, Corona? Gewiss, alles wird digitaler. Vielleicht schwirren bienengrosse Drohnen um unsere Köpfe und ersetzen die Kameras in unseren Laptops und Smartphones. Die Bildschirme könnten Projektionen werden, die wir auf unsere Betten, Fenster und Wände richten. Digitale Assistenten werden sich rund um die Uhr um unser Wohl kümmern, um unsere Gesundheit, unsere Agenda, unsere Ernährung und Sexualität. Wir werden unsere Scheu überwinden und mit den Maschinen sprechen. Aber weisst Du was. So sehr ich digitaler leben will, so sehr liebte ich es, mir in Deiner Anwesenheit die Hände schmutzig zu machen. Beim Umpflanzen der Erdbeeren, beim Tortenbacken, beim Streicheln der regennassen Katzen.

Ich schrieb, dass alles gleich bleibt und doch hoffe ich so sehr, dass alles anders wird. Man wünscht Dich weg, verteufelt Dich. Aber ich möchte Dir danken für die Gelegenheit, die Zukunft anders zu denken, danken, für alles was Du in Frage gestellt hast. Könnte ich mir etwas wünschen, das Dein Besuch verändert, so wünschte ich, dass wir lernen, Fragen zu stellen. Gute Fragen sollten das neue Händeschütteln sein. Ich möchte jede Woche eine Stunde über eine einzige Frage nachdenken. Ich sehne mich nach Frage- statt Fehlerkulturen, nach Chief Question Officers, nach Führungskräften, die sich fragen, ob es sie noch braucht, nach Menschen, die ehrlich antworten, ob sie durch Dich etwas gelernt haben.


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