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Die Zehn Gebote der Exnovation

Wenn das Exnovieren doch nur so einfach wäre! Aber offensichtlich trifft das Abschaffen von aus der Mode gekommenen Innovationen auf zahlreiche Widerstände. Das ist schade, denn um reibungslos zu funktionieren, brauchen Unternehmen und Städte regelmässige Entschlackung.

Willst du den Tod einer Innovation herbeiführen, musst du die Hindernisse der Exnovation ernst nehmen und ihre Erfolgsfaktoren beachten.

Hier gehts zum Grundlagentext der Exnovation
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Umsetzung: Maksym Kolisnichenko


Hindernisse der Exnovation

Romantisiere nicht die «gleichzeitige Ungleichzeitigkeit»!
Wir idealisieren die Vergangenheit. Nostalgisch schreiben wir alten Innovationen positive Gefühle zu: Der Zeitung. Der Briefpost. Dem Schalter. Der Kasse. Der Ticketkontrolle durch Menschen. War die Welt nicht noch in Ordnung, als es langsamer und persönlicher zuging? Weil wir altes nicht abschaffen, lagern sich immer mehr technologische Sedimente ab. Aber je mehr Technologiegenerationen gleichzeitig existieren, desto mehr Ressourcen sind nötig, um sämtliche Angebote und Kanäle zu bewirtschaften. Zudem gehen veraltete digitale Infrastrukturen häufig mit Sicherheitsrisiken einher.

Hüte dich vor den Gewinnerinnen der Vergangenheit!
Wer mit alten Innovationen Erfolg hatte, möchte weiterhin von seinen hart erarbeiteten Privilegien profitieren (Lohn, Freiheit, Macht). Auch deshalb zieren sich die stolzen Gewinner:innen der Vergangenheit, zuzugeben, dass ihre altmodischen Lösungen durch Nebenwirkungen zum Problem geworden sind. Genauso fürchten sie sich, mit disruptiven Angeboten die Erfolge der Vergangenheit unter Druck zu setzen. Sie wollen keine Erträge gefährden und keine Expertinnen verärgern. Ihre Vorsicht ist umso ausgeprägter, je stabiler die Gewinne auf ihren alten Innovationen sind.

Vermeide Beurteilungsfehler der Zukunft!
Zu exnovieren ist auch deshalb heikel, weil sich Menschen schwertun, die Zukunft richtig zu bewerten. Erstens rechnen wir in deren Beurteilung «Sunk Cost» ein – also irreversible Kosten, die sich durch keine künftigen Entscheide zurückholen lassen. Zweitens bewerten wir potenzielle Verluste höher als potenzielle Gewinne. Lieber wollen wir den Spatz auf der Hand als die Taube auf dem Dach! Ausserdem tun wir uns alle schwer damit, exponentielle Wachstumskurven richtig abzuschätzen – sei es die Verbreitung von Viren oder die Diffusion von neuen Technologien. Besonders knifflig wird es, wenn wir mit linearen Fortschritten exponentiell verlaufende Probleme lösen wollen, z.B. die Vermehrung des Reichtums von Superreichen oder den Klimawandel.

Überwinde deine Pfadabhängigkeiten!
Pfadabhängigkeiten schrumpfen die Zukunft, weil die Entscheide der Vergangenheit auf Spuren führen, die Unternehmen, Spitäler oder Städte nicht mehr so schnell verlassen können. Die Auswahl eines IT-Systems, der Vertrag mit einem Vorleister oder Vermieter, der Bau eines Bahnhofs. Je mehr Anspruchsgruppen sich auf Standards geeinigt oder sich in einem Ökosystem arrangiert haben desto bequemer ist es, auf dem gewählten Pfad zu bleiben – und nicht umständlich zu exnovieren und neu einzuspuren. Dasselbe gilt auf der persönlichen Ebene, wenn Manager:innen und Politiker:innen einen hohen finanziellen und emotionalen Einsatz getätigt haben.

Umgehe die Recyclingfalle!
Statt sich von umweltschädlichen Angeboten zu trennen, begeben sich Unternehmen in die Recyclingfalle. Sie ermöglichen ihren Kundinnen und Kunden dadurch mit gutem Gewissen weiter zu konsumieren: Batterien, Wasserflaschen, Fast-Fashion. Gegenüber Kundschaft und Öffentlichkeit blenden die Anbietenden gerne aus, dass Recycling in der Regel CO2 verursacht, nur ein geringer Teil des produzierten Materials in die Kreisläufe zurückkehrt und es durch Upcycling häufig zu Downsizing kommt, z.B. zu einem Verlust der Materialqualität. Wer Recycling predigt, tut so, als könnte ewig alles genau gleich weitergehen.


Alte IBM Maschinen aus dem ETH-Bildarchiv


Erfolgsfaktoren der Exnovation

Sensibilisiere für die Schädlichkeit alter Innovationen!
Jede Innovation hat ein Ablaufdatum. Wer ihren Tod herbeiführen und durch Exnovation innovieren will, sollte seinem Publikum die Nachteile alter Erfindungen klar vor Augen führen. Dazu hilft es, Nebenwirkungen mit Zahlen zu versehen und diese zu visualisieren – der Bodenraub durch Strassen und Parkhäuser, die Anzahl jährlich getöteter Legehennen, der Suchaufwand in einer veralteten digitalen Arbeitsumgebung. Diese Quantifizierung von Nebenwirkungen ist ebenso Grundlage, um den Fortschritt der Exnovation zu messen, wie um unsichtbare Kosten zu verrechnen – etwa für die Wiederbelebung toter landwirtschaftlicher Böden.

Fördere neue Denkkollektive!
Das erfolgreiche Fading Out von betagten Innovationen setzt den gleichzeitigen Aufbau von attraktiven Alternativen voraus. Das gilt besonders dort, wo Menschen durch ihre Gefühle und Identitäten an der Vergangenheit kleben: am Fax, am Einfamilienhaus, an der Wurst, am Auto im Privatbesitz. Unternehmen und Städte, die neue Zukünfte anstreben, investieren frühzeitig in die Denkkollektive, die das Alternative ausarbeiten. Man findet diese Netze an den Rändern der Funktionen alter Innovationen. Wer etwa die Autos aus den Innenstädten verbannen will, sollte die Kollektive zur Bodengesundheit oder zum öffentlichen Raum stärken.

Leiste Trauerarbeit und mache Verlierer zu Influencern!
Wer exnovieren will, muss sich von Gewohnheiten verabschieden, sich von Besitztümern trennen und bequeme Sicherheitszonen verlassen. Exnovationsprofis unterstützen deshalb in der Trauerarbeit. Zum Beispiel durch Rituale oder eine Stärkung des Selbstbewusstseins. Denn wer sich selbst vertraut, ist vital genug, loszulassen und lustvoll neu anzufangen. Im Idealfall portraitieren Exnovationsdesigner:innen Menschen, die durch das Loslassen neues Glück fanden. Solche Wandlungen erzählen von Wurstherstellern, die nun mit Pflanzen ihr Geld verdienen oder vom KMU, das Insekten nicht mehr tötet, sondern deren Vielfalt fördert.

Erzähle deine Innovationen neu!
Auf neues Terrain sollten sich genauso die Kommunikationsprofis bewegen, die Stimmung fürs Exnovieren machen wollen. Wer in den Argumenten der Vergangenheit steckenbleibt, wird Mühe bekunden, die Diskurshoheit des alten «Innovationsregimes» zu brechen. Wer beispielsweise die hormonbasierte Antibaby-Pille loswerden will, könnte über ein positives Körpergefühl oder Geschlechtergleichheit sprechen. Denn über Verhütung im engen Sinne zu sprechen, ist für Anbieterinnen alternativer Verhütung sinnlos, müssen doch alle Alternativen zuverlässig verhüten. Auch Begrifflichkeiten sind entscheidend. Statt als «vegan» könnte man Bowls als «proteinreich» bezeichnen. Weiter lohnt es sich mit dem grossen Pinsel zu malen: Warum wollen wir exnovieren? Warum wollen wir uns verändern?

Wage es, dich neu zu erfinden!
Wir sind, wer wir sind, weil wir uns gemäss dem Prinzip der Pfadabhängigkeiten in unserer Vergangenheit (mehr oder weniger freiwillig) für eine politische Ausrichtung, eine Ausbildung, einen Wohnort und ein Lebensmodell entschieden haben. Wer einen Beitrag zur Exnovation leisten will, muss sich deshalb vielleicht selbst neu erfinden, aus alten Lebensplänen aussteigen und seine Identität neu erzählen. Genauso müssen Städte und Unternehmen ihre Selbstverständnisse regelmässig ändern. Wie erfahrene Pokerspieler:innen wissen, setzt langfristiger Erfolg voraus, den richtigen Moment zum Aufhören zu erkennen.


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