Digitale Diversität
Zusammenfassung in der Huffington Post
Diversität wird als Thema der Unternehmensführung häufig belächelt. Man tut Diversität als Frauenthema ab, als nette, aber keinesfalls zwingende Massnahme des HRM. Die Diversität rutscht von der Managementagenda, sobald der Geschäftsbericht mit der gemieteten diversen Belegschaft im Druck ist.
Das liegt auch daran, dass die Notwendigkeit für Diversität zu wenig begründet wird und man trotz Studien von Mc Kinsey, Credit Suisse Roland Berger und Page Group Mühe hat, dem Thema harte betriebswirtschaftliche Relevanz zuzusprechen. Braucht es also tatsächlich eine weitere Dimension der Diversität?
Was ist digitale Diversität?
Da die Welt noch digitaler wird und nicht alle denselben digitalen Lebensstil wählen werden, kann die Antwort nur ja heissen. Digitale Diversität ist die Integration unterschiedlicher digitaler Lebensstile in die Belegschaft eines Unternehmens. Die Unterschiedlichkeit der Mitarbeitenden zeigt sich in deren Einstellung zur digitalen Zukunft, der Ausrüstung mit Hardware, der Kenntnis von Software und Apps, der Anwendung von Suchmaschinen oder auch der Nutzung von Social Media. Aus diesen Unterschieden resultieren verschiedene Lebensgeschwindigkeiten. Am einen Ende des Spektrums beschleunigen die Hyperdigitalen, um in kurzer Zeit möglichst viel erleben zu können. Umgekehrt wollen die Offliner am anderen Ende des Spektrums durch Entschleunigung bewusster leben.
Warum ist digitale Diversität wichtig?
Für den langfristigen Unternehmenserfolg ist digitale Diversität als ergänzende Dimension einer vielfältigen Belegschaft aus drei Gründen besonders relevant:
Gestärkte Agilität: Die Aussenwelt eines Unternehmens zeichnet sich durch „maximale“ Diversität aus. Diversität der Innenwelt hilft bei der Anpassung an eine diverse Aussenwelt. Das gilt vor allem für die Konzerne, die Produkte und Dienstleistungen für sämtliche Kundensegmente der Bevölkerung anbieten. Durch Diversität kann ein Unternehmen seine Strategien rasch anpassen oder in eine andere Richtung lenken. Vorgelagert ist die regelmässige Überprüfung der Strategie aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven.
Grösserer Ideenpool: Je diverser die Belegschaft, desto mehr Ideen finden sich im Unternehmen. Digitale Diversität hilft die zukünftigen Bedürfnisse der Hyperdigitalen genauso zu antizipieren wie diejenigen der Offliner. Ideen sind nicht nur für die Entwicklung von neuen Produkten von Bedeutung. Genauso wichtig ist die Innovation des Unternehmens selbst. Damit sind vor allem dessen Struktur und Prozesse gemeint. Je austauschbarer Produkte, je tiefer die Markteintrittsbarrieren und je transparenter die Märkte, desto wichtiger wird die Innovation des Geschäftsmodells.
Beschleunigung und Entschleunigung: Je mehr ein Geschäftsmodell durch Disruption bedroht wird, desto wichtiger wird die Beschleunigung des unternehmerischen Veränderungsprozesses. Mit der erhöhten Veränderungsgeschwindigkeit steigt jedoch die Gefahr von Burnouts und den negativen Effekten von Multitasking. Beschleunigung erhöht den Bedarf an Entschleunigung. Während Hyperdigitale dem Unternehmen helfen, Geschwindigkeit aufzunehmen, relativieren die Offliner durch kritische Fragen und alternative Lebensstil den Zwang zur Beschleunigung.
Unterschiedliche Geschwindigkeiten: Unternehmen, welche die Beschleunigung in klar abgetrennten Silos kultivieren, gewinnen rasch an Tempo. Das ist insbesondere in Branchen sinnvoll, die besonders von Disruption bedroht sind oder aber bei Unternehmen, die sich einen grossen Rückstand im digitalen Transformationsprozess eingefangen haben. Jedoch steigt durch die Abtrennung auch das Risiko der Kanibalisierung, wenn sich erfolgreiche Nebenprojekte abspalten, man also die Erkenntnisse des Silos nicht zurück integrieren kann. Genauso kann eine mangelnde digitale Diversität dazu führen, dass sich sehr wenig oder sehr stark digitalisierte Mitarbeitende bei einem Arbeitgeber nicht mehr zu Hause fühlen.
Wie erhält und nutzt man digitale Diversität?
Der einfachste Weg, um zu mehr digitaler Diversität zu kommen, ist die Rekrutierung. Unternehmen, die sich digital sehr fit fühlen, können sich durch bewusstes Rekrutieren sowohl Entschleunigung als auch Einsichten in die nicht digitale Welt beziehungsweise in die Gegenkultur der Offliner beschaffen. Umgekehrt sollten unterdigitalisierte Unternehmen über die Rekrutierung ihren digitalen Reifeprozess in Gang bringen. Dazu braucht es nicht nur die technischen digitalen Kompetenzen sondern auch Innovationskraft. Weil das HR eine wichtige Rolle in der Rekrutierung spielt, ist auch beim HR beziehungsweise den Recruitern auf (digitale) Diversität zu achten.
Doch mit einer bewussten Rekrutierung hinsichtlich digitaler Diversität ist es nicht getan. Unternehmen müssen ihre Diversität auch zum Leben erwecken. Viele Unternehmen sind sich der eigenen Diversität und deren Potenziale gar nicht bewusst. Dieses Nichtwissen gilt insbesondere für weiche Diversitätsfaktoren, die nicht wie das Alter oder das Geschlecht sofort ersichtlich sind. Diversität wird genutzt, wenn Teams beziehungsweise Ideenfindungs- und Strategieprozesse entsprechend zusammengesetzt werden und die Diversität statt als Problem als Chance betrachtet wird. Das setzt von Teammitgliedern Empathie, Neugierde und die Relativierung der eigenen Perspektive voraus – auf oder noch besser über alle Hierachieebenen hinweg.
Um die Potenziale von Beschleunigung und Entschleunigung zu nutzen, braucht es entsprechende Arbeitsumgebungen. Beschleunigung ist weder ohne hochwertige IT möglich noch ohne ein Eingehen auf die spezifischen Bedürfnisse der Hyperdigitalen. Unternehmenskulturen, die junge wilde Hyperdigitale anziehen sollen, müssen sich vermehrt an deren Bedürfnisse orientieren. Das kann Unternehmen alles abverlangen – von der Einführung von Home-Office, dem Duzen der Geschäftsleitung, der Entsperrung des gesamten externen Internets bis zur Neugestaltung ganzer Stockwerken. Umgekehrt setzt Entschleunigung Orte der Ruhe, der Konzentration und Entspannung voraus. Hilfreich sind dabei sowohl mit Störsendern entdigitalisierte Orte wie auch (Führungs-)Rituale, in denen die Vorzüge der nicht-digitalen Welt erfahren werden.
Schliesslich ist digitale Diversität natürlich ein Thema der Unternehmenskultur. Diese zu beeinflussen gilt als schwierig, zumal man von einem langwierigen Veränderungsprozess ausgeht. Viel versprechend scheinen deshalb Interventionen gemäss dem Pop-Up-Prinzip. Wie bei Läden, Restaurants oder Büros, die sich für einige Wochen in nicht genutzten Räumlichkeiten einquartieren, sollte die digitale Diversität spontan, unkompliziert und überraschend zum Thema werden. Dabei mischen sich Personalentwicklung, Schulung, Sensibilisierung und FAQs mit informellem abteilungs-und hierarchieübergreifendem Dialog. Idealerweise adressieren solche Pop-Up-Interventionen gleichzeitig die Anliegen von HR, IT, Security und eben Diversity. Die Initiativen haben dann aufgrund der breiten Abstützung die grösste Wirkung.