Baustellen der Wissensgesellschaft
Eine empirische Studie zu wahrgenommenen Problemen und eingesetzten Hilfsmitteln
Ausgangslage
Dass wir uns in die Richtung einer digitalen Wissensgesellschaft bewegen, ist kaum bestritten. Die Megatrends Wissensökonomie, Digitalisierung und Vernetzung stärken die Bedeutung der Ressource «Wissen» und verlagern den Alltag in das Internet. Durch die digitale Wissensgesellschaft nimmt die Transparenz des Wissens zu, die Wissenslebenszyklen verkürzen sich. In der Folge verschärfen sich die Wettbewerbe, Innovations- und Kostendruck nehmen zu. Unternehmen sind sich bewusst, dass sie in diesem Kontext die Wettbewerbsvorteile über die Mitarbeitenden und deren Wissen erwirtschaften. Doch der Wandel weg von einer Wirtschaft des Materiellen hin zu einer Wirtschaft des Immateriellen konfrontiert jedes Unternehmen mit einem riesigen Change-Projekt. Diesen Herausforderungen auf die Spur zu kommen, mögliche Hilfsmittel zu diskutieren und sowohl die wahrgenommenen Herausforderungen als auch die eingesetzten Hilfsmittel zu quantifizieren, ist der Anlass dieser Studie.
Die digitale Wissensgesellschaft steht im engen Sinne stellvertretend für eine Veränderung unseres Kommunikations- und Informationsverhaltens. An die Stelle von Buch und Brief tritt eine Vielfalt von Medien, wobei das Internet eine zentrale und gleichzeitig integrierende Rolle spielt. Das Internet ist in seiner Entwicklung erst am Anfang. Mobile Geräte werden ebenso an Bedeutung gewinnen wie das Internet der Dinge. Das veränderte Informations- und Kommunikationsverhalten hat Auswirkungen auf unsere Bedürfnisse und Interaktionsgewohnheiten als Kunden. Viele materielle Güter verschwinden und werden durch den Zugang zu einer immateriellen Leistung ersetzt. Das gilt für Musik, Filme und Software. Aber auch die Anbieter von Dienstleistungen verändern ihre Funktionsweise. Versicherungen, Krankenkassen, Banken, Kommunikations- und Mobilitätsanbieter verlagern ihre Angebote in das Internet, wo Kunden immer mehr Wertschöpfungsschritte selbst erledigen.
Die Veränderungen betreffen auch unseren Arbeitsalltag. Ort und Zeit verlieren für die Erledigung der Arbeit an Bedeutung. Bisherige Strukturen werden auf- gebrochen und machen flexiblen, offenen Organisationsformen Platz. Arbeitsverträge werden zu Projektverträgen, Kunden zu temporären Mitarbeitenden. Dadurch geraten bisherige Organisation-, Management- und Führungsverständnisse unter Druck. Da dieser Wandel endlos ist, findet auch die Weiterentwicklung eines Unternehmens kein Ende. Aufbauorganisation, Management-Ideale und Führungsrollen passen sich den neuen Bedingungen fortlaufend an.
In letzter Zeit häufen sich die Berichte über die Herausforderungen, die auf dem Weg in die digitale Wissensgesellschaft lauern. Die Digitalisierung schafft neue Bedingungen der Wertschöpfung, zwingt zu Investitionen in die digitale Infrastruktur, fordert den Aufbau von neuen Kompetenzen. Weil diesem Druck nicht immer gleich nachgekommen werden kann, entstehen Baustellen. In der Regel wird bei der Diagnose des Zustands der digitalen Wissensgesellschaft die Optik des Individuums oder eines Staates eingenommen. Die Perspektive des einzelnen Unternehmens bleibt indes häufig unbeleuchtet. Hier setzt diese Studie an. Sie beschreibt in einem ersten Teil exemplarisch die möglichen Baustellen auf dem Weg in die digitale Wissensgesellschaft und die Hilfsmittel, die zur Bewältigung dieser Baustellen eingesetzt werden. Dabei seht sowohl bei den Baustellen als auch bei den Hilfsmitteln die Innenperspektive, also die resource-baded-View im Vordergrund. Es ist die Perspektive des Human Resources Management (HRM), das allerdings nicht zwingend mit der Personalabteilung identisch ist.
Im zweiten Teil stellt die Studie die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zu diesem Thema vor. Die Studie geht folgenden Fragen nach:
- Welche Herausforderungen auf dem Weg in die digitale Wissensgesellschaft nehmen die Befragten wahr?
- Welche Hilfsmittel werden von den Befragten zur Bewältigung dieser Herausforderungen eingesetzt?
- Bei welchen Hilfsmitteln möchten die befragten Unternehmen Fortschritte erzielen?
- Welche Zusammenhänge bestehen zwischen den wahrgenommenen Herausforderungen und den eingesetzten Instrumente?
Die Befragung erfolgte zwischen dem 14. Februar und dem 1. März 2013. An der Studie haben sich 88 Befragte beteiligt. Die Befragten stammen aus der Schweiz (93.2%) und aus Liechtenstein (6.8%). Sie arbeiten mehrheitlich als CEO, in der Personalabteilung oder in der Organisationsentwicklung. Die meisten Befragten kommen aus der Finanzindustrie, gefolgt von der Produktion, der Forschung und Beratung, der Information und Kommunikation sowie dem Handel. Die verschiedenen Unternehmensgrössen sind etwa gleichmässig in der Stichprobe vertreten. Im Anhang wird die Stichprobe genauer aufgeschlüsselt.
Welche Hilfsmittel werden bei welchen Problemen eingesetzt?
Aus der Studie geht hervor, welche Instrumente bei welchen wahrgenommenen Problemen gehäuft auftreten. Die Grösse des Kreises zeigt die Häufung der Instrumente. Je röter der Kreis ist, desto grösser sind die erwünschten Fortschritte.
Abb. 1 Je grösser ein Kreis ist, desto mehr wird ein Instrument in Kombination mit einer bestimmten Herausforderung eingesetzt. Je dünkler die Farbe des Kreises, desto grösser ist der Fortschrittswunsch.
Fazit
Die befragten Unternehmen sehen sich tatsächlich mit einer Vielfalt von Herausforderungen auf dem Weg in die digitale Wissensgesellschaft konfrontiert. Der veränderte Kontext, der sich durch einen verstärkten Innovations- und Kostendruck bemerkbar macht, führt zur Notwendigkeit eines permanenten Change-Managements. Konkret fallen Aufgaben im Wissens-, Talent-, Daten- und Technologiemanagement an.
Der Innovationsdruck ist aus Sicht der Befragten die grösste Herausforderung. Ähnlich belastend werden der Fachkräftemangel, das Platzieren der Mit- arbeitenden in den richtigen Stellen sowie die potenzielle Überforderung der Mitarbeitenden beurteilt. Weitere wichtige Herausforderungen sind der drohende Know-how-Verlust sowie die zu wenig strategische Ausrichtung von Personal- und Wissensmanagement.
Als Hilfsmittel setzen die Befragten in erster Linie auf die Diskussion der Führung- und Managementverständnisse sowie auf das Wissensmanagement. Ebenfalls als wichtig werden Kompetenzverzeichnisse und die Verbesserung der Qualität der Personalabteilung erachtet. Internetbasierte Instrumente wie die Crowd-Innovation oder das Data-Mining werden wenig eingesetzt.
Fortschritte möchten die Befragten insbesondere bei jenen Instrumenten erzielen, die sie heute bereits häufig einsetzten, also beim Wissensmanagement sowie der Diskussion der Führungs- und Managementverständnisse. Die gewünschten Fortschritte bei der Veränderung der Führungs- und Managementfortschritte zeigen, dass diese Diskussion zwar angestossen, aber noch nicht abgeschlossen ist.
Das Wissensmanagement, die Diskussion der Führungs- und ManagementVerständnisse sowie die Verbesserung der Qualität der Personalabteilung werden als Allzweckmittel eingesetzt, um eine Vielfalt von Herausforderungen zu bewältigen. Insgesamt scheint es wenig Instrumente zu geben, die gezielt für die Bekämpfung einer bestimmten Herausforderung eingesetzt werden.
Aus Sicht des Beobachters könnte man die These aufstellen, dass die Hilfs- mittel nach dem Giesskannenprinzip eingesetzt werden. Das wiederum könnte ein Zeichen von Naivität, Ratlosigkeit oder Hilflosigkeit sein. Um diesen Zuständen entgegenzutreten, ist eine Reflexion von drei Fragen hilfreich:
- Welche Herausforderungen nehmen wir wahr, die uns stärker als andere betreffen?
- Welche Wirkung wollen wir mit welchen Hilfsmitteln erzielen?
- Welches Instrument könnte uns helfen, unsere Innovationskraft zu stärken?
Die Reflexion dieser Fragen wird dazu führen, dass sich Unternehmen bewusster für den Einsatz von Hilfsmitteln entscheiden. Dabei spielt insbesondere der Lebenszyklus eines Instrumentes eine Rolle. Wer nur die Instrumente einsetzt, die sich am Ende ihres Lebenszyklus befinden, wird Mühe haben, gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil zu erwirtschaften. Aus Sicht der Digitalisierung erscheint es paradox, dass die Unternehmen zwar Herausforderungen auf dem Weg in die digitale Wissensgesellschaft wahrnehmen, aber ausgerechnet die aus dem Wandel entstehenden Hilfsmittel nicht einsetzen.
Auch das Humankapital ist eine Ressource, für deren Pflege und Weiterentwicklung die neusten Instrumente eingesetzt werden sollten. Man stelle sich einen Arzt vor, der mit veralteten Instrumenten einen Patienten heilen will: Er wird keinen Erfolg haben. In diesem Sinne sollte dem Data Mining und der Crowd Innovation verstärkt Bedeutung geschenkt werden. Diese beiden Hilfsmittel befinden sich am Anfang ihres Lebenszyklus. Es sind aber Instrumente, die auf die Vorteile der Digitalisierung setzen und Unternehmen in der Stärkung ihrer Innovationskraft behilflich sein könnten. Durch Crowd Innovation können Unternehmen ihre potenziellen Wissens- quellen massiv erweitern. Durch Data Mining nutzen sie das Wissen über ihre Organisation, um dadurch Reflexion und letztlich Veränderung auszulösen.
Zahlen und Kunden sind Themen, bei denen die Personalabteilung häufig Berührungsängste zeigt. Überwindet sie diese, so kann sie neue Wege im Human Resources Management gehen und sowohl ihre Position als auch ihre Wirkung stärken.